Peter Weibel – Die Kunst ist der Imker, nicht die Biene.

 

Peter Weibel
19.07. bis 10.09.2011

Fotos: Matthias Weissengruber

 

Die Kunst ist der Imker, nicht die Biene.
Eine Ausstellung von Peter Weibel in der Galerie Lisi Hämmerle

In der Kunst herrscht seit und vor dem Expressionismus die Theorie, die Kunst sei Ausdruck. Der Künstler sei ein Individuum mit Ausdruckszwang.

Der Mechaniker, der das Auto repariert, der Tischler, der Möbel herstellt, sind weit davon entfernt, diese ihre Tätigkeiten als Ausdruck ihrer Persönlichkeit zu verstehen und dementsprechend aus innerer Notwendigkeit oder aus einem inneren Drang zu handeln. Ein Handwerker, ein Verkäufer, ein Handelsreisender verstehen ihre Tätigkeiten nicht als Selbsttherapie und als Aufarbeitung ihrer Kindheit. Die genannten Tätigkeiten werden allesamt als soziale Dienstleistung verstanden.

In der Kunst überwiegt ein enormer Begriffsapparat, der gerade dies macht: Die Tätigkeit der KünstlerInnen nicht als Dienstleistung zu interpretieren, sondern als Autonomie im Horizont des Ausdruckszwangs. Der Künstler operiert zwischen Genie und Wahn und nicht der Tischler. Joseph Beuys allerdings hat bereits um 1970 in der Nachfolge von Marcel Duchamp (Der kreative Akt, 1957, der Beitrag des Betrachters) erklärt: jeder Mensch ist Künstler. In der berühmten »Honigpumpe«, ausgestellt auf der documenta in Kassel 1977, zeigte er, was er unter »sozialer Plastik« versteht, nämlich, dass die Kunst selbst eine soziale Plastik ist, das Produkt zahlreicher gesellschaftlicher Gruppen und Interessen. Nicht das ist Kunst, was die Biene ausscheidet oder der Künstler ausdrückt, sondern die Kunst ist, was die Gesellschaft aus diesen Ausscheidungen macht. Im Falle von Piero Manzoni (merda d’ artista, 1961) bis zu Paul McCarthy and Jason Rhoades (Shit Plug, 2002) wurde die Künstlerscheiße, bzw. die Scheiße der Besucher, das Analog zum Honig der Bienen, in der Tat von der Kunstgemeinschaft zur Kunst erklärt. Jede andere Scheiße bleibt Scheiße, so lange sie nicht von der Kunstgemeinschaft zum Honig der Kunst erklärt wird.

Der Imker, der den Honig schon im Vorfeld vorbereitet, indem er Waben zur Verfügung stellt, und später den Honig in den sozialen Verwertungszusammenhang stellt, ist also dem Kunstbetrieb und der Kunstgemeinschaft vergleichbar. Ohne ihn würden Bienen im Wald wilden Honig produzieren und solange wir ihn nicht konsumieren, gäbe es diesen Honig nicht, erst durch die Vergesellschaftung entsteht der Honig wie die Kunst.

Im Jahre 1971 habe ich bereits das Manifest »Kontext-Theorie der Kunst« publiziert, das 1994 den Titel eines für die 90er Jahre wegweisenden Buches lieferte. In dieser Theorie habe ich die ersten zehn Jahre meiner Kunstpraxis zusammengefasst, welche die Konzeptkunst zur Kontextkunst vorangetrieben hat. Meine Untersuchungen zum Verhältnis von Sprache, Bild und Wirklichkeit, von konzeptueller Poesie (1964) bis Installationen, die aus einem Begriff, mehreren Bildern und einem realen Gegenstand (1966) bestanden, haben zur Entdeckung geführt, dass zwischen Repräsentation und Realität eine materiale Schnittstelle existiert: die Medienrealität. So analysierte ich den jeweiligen Kontext, in dem eine Äußerung materialisiert wird, sei es die Seite für die Buchstaben, das Buch für die Seiten, der Buchhandel für das Buch, die Gesellschaft für den Buchhandel, usw. Der kontextuelle Rahmen der Kunst, sei er medium-materialistisch oder sozial gedacht, wurde zum Inhalt meiner Konzeptkunst. Im Verlauf der Entwicklung der radikalen Moderne wurde jegliche Repräsentation durch Realität ersetzt, zum Beispiel der gemalte Körper des Portraits durch den realen nackten Körper des Künstlers in der Body Art, zum Beispiel die gemalte Landschaft zur Land Art. Eine kontextuelle Instanz wurde allerdings stets übersehen, nämlich der Imker, die Kunstgemeinschaft verkörpert durch das Publikum. Deswegen stellte ich 1969 zum ersten Mal das reale Publikum selbst aus. Es wurde also nicht die leere Galerie gezeigt, der reale räumliche Kontext der Kunst (Yves Klein, Die Leere, 1958), es wurde auch nicht der Künstler in einer Vitrine selbst ausgestellt (Timm Ulrichs, Selbstausstellung, 1961), sondern erstmals wurde das reale Publikum in der Galerie selbst zum Ausstellungsobjekt. Es bedurfte aber der beobachtenden Medien (Video), damit das reale Publikum sich in realer Zeit (Echtzeit) selbst als Ausstellungsstück in der ansonsten leeren Galerie sehen konnte.

Die Ausstellung zeigt also in sehr wenigen ausgewählten Werken aus den Jahren 1964 – 1973 Beispiele meiner konzeptuellen und kontextuellen Kunst, die zwischen Repräsentation, Realität und Medienrealität kritisch operiert.

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