SCIVIAS –
Debora Hirsch
Valentina D’Amaro
Devis Venturelli

16. März – 4. Mai 2019
Eröffnung am Freitag, den 15. März um 19 Uhr.

English

Es spricht: Karlheinz Pichler – Kulturpublizist, in Anwesenheit der KünstlerInnen.

WISSE DIE WEGE

Valentina D’Amaro, Debora Hirsch und Devis Venturelli in der Galerie Lisi Hämmerle

Die Bregenzer Galerie Lisi Hämmerle feiert in diesem Jahr ihr dreissigstes Bestandsjahr. Die engagierte Inhaberin, die durch all die Jahre vor allem junger, vielversprechender Kunst eine Plattform bot, nahm dies zum Anlass, die Galerie umzubauen und einen eigenen Videoraum einzurichten. Anlässlich der Wiedereröffnung am 16. Februar gab es ein Fest, zu dem Alex Sutter spielte und unter dem Titel „Accrochage“ Werke von KünstlerInnen der Galerie gezeigt wurden. Als erste thematische Ausstellung im neuen Jahr, die sich mit „Scivias“ überschreibt, präsentiert die Galerie mit Valentina D’Amaro, Devis Venturelli und Debora Hirsch zwei italienische und eine brasilianische Position, wobei alle drei Kunstschaffenden derzeit in Mailand leben und arbeiten. Die meisten der Gemälde, Videos und Skulpturen, die in Bregenz zu sehen sind, wurden laut Lisi Hämmerle eigens für diese Ausstellung erarbeitet.

Der Titel der Ausstellung „Scivias“ geht auf die lateinische Redewendung „Sci vias“ zurück und bedeutet so viel wie „Wisse die Wege“ (des Herrn). Er verweist aber vor allem auf den Titel des gleichnamigen mittelalterlichen prophetischen Buches der deutschen Mystikerin Hildegard von Bingen (1098 – 1179). „Scivias“ ist Hildegards Erstlingswerk und gilt als eines ihrer bekanntesten Bücher. Sie beschreibt darin insgesamt 26 selbst erlebte religiöse Visionen. Handschriftlich, im romanischen Stil und lateinischer Sprache auf Pergament verfasst, bildet es den Auftakt einer Visionstrilogie. Es folgten die Bücher „Liber vitae meritorum“ und „De operatione Dei“ (letzteres auch bekannt unter „Liber divinorum operum“).

Das Visionäre in der Kunst

Valentina D’Amaro, Debora Hirsch und Devis Venturelli beziehen sich mit ihrer Ausstellung nicht von ungefähr auf diese „Visionsliteratur“. Denn sie wollen im Rahmen dieses Projektes der Frage nachgehen, inwieweit bei der Erforschung und Interpretation der Realität durch Kunst metaphysische Implikationen zum Tragen kommen. Denn künstlerische Prozesse folgen ihrer Ansicht nach nicht nur der Vernunft und konzeptionellen Denkstrukturen, sondern diese werden immer wieder von intuitiven und wenn man so will visionären Einflüssen überlagert.

Nach Ansicht der drei Kunstschaffenden soll „Scivias“ ein Experiment darstellen, bei dem die „instabilen Grenzen zwischen Intuition, unmittelbarem Wissen und Wissenschaft“ ausgelotet werden. Die intuitive Herausforderung, die hinter der Malerei und dem Film, respektive dem Malen und Bewegen von Bildern stünde, sei im Wesentlichen nur schwer fassbar. Im künstlerischen Akt werde die Dynamik von Materie gleichsam zu Energie transformiert. In dieser Umsetzung werde eine Welt enthüllt, die jenseits der rationalen Sinne verborgen liege und in der alles vibrierend miteinander verbunden sei, so die drei Kunstschaffenden.

So zielt etwa Valentina D’Amaro mit ihren giftgrünen Landschaften, die von allem beschreibenden und erzählenden Beiwerk befreit und entleert sind, auf die Essenz der Dinge ab. In ihrer unendlichen Einsamkeit, die diese Ölbilder ausstrahlen, erinnern sie mitunter an Werke des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich, in ihrem melancholischen Grundton an Edward Hopper. Auch ein Zitat von Adorno wird evident, das da lautet: „Der Blick, der an das eine Schöne sich verliert, ist ein sabbatischer. Er rettet am Gegenstand etwas von der Ruhe seines Schöpfungstages. […] Fast könnte man sagen, dass vom Tempo, der Geduld und Ausdauer des Verweilens beim Einzelnen, Wahrheit selber abhängt.“ (Theodor W. Adorno: Minima Moralia) Den Landschaften D’Amaros hängt das Traumhafte an. Man kann sie wahrnehmen und empfinden, aber sie entziehen sich der Sprache, so wie dies auch bei der Musik der Fall ist. In ihrer Art der Erforschung künstlerischer Wege und Möglichkeiten versucht sie, Logik und Erfahrung zu umgehen und das konzeptionell Kalkulierte hinter sich zu lassen. D’Amaro Intention ist es folglich, die Schichten jenseits von Narration und Rationalität freizulegen und der Intuition Tür und Tor zu öffnen. Das verleiht ihrem Werk einen unvergleichlich atmosphärischen Impetus und lässt dem Unerwarteten einen unbegrenzten Freiraum. Das Archetypische, ja fast Plakative, dass den eindringlichen Landschaftsbildern der Italienerin anhaftet, grenzt an fiktionale Vorstellungen und Visionen.

Die im brasilianischen São Paulo geborene Künstlerin Debora Hirsch will mit ihrem Zyklus „Firmamento“ gleichsam die Komplexität der Wirklichkeit rekonstruieren. Ihren unzähligen Referenzen und inhaltlichen Verschränkungen, die in den Werken spürber werden, geht eine überaus kritische und penible Untersuchung scheinbar unzusammenhängender Welten und Situationen voran. Ihre künstlerischen Elaborate sind das Ergebnis exakt geplanter Überlegungen, für deren Umsetzung sie sich zum Beispiel auf dekontextualisierte Architekturdetails und wissenschaftliche Darstellungen genauso abstützt, wie auf historische und digitale Kolonialismuseindrücke, eigenhändige, automatisierte Muster, die an die Strukturen von  Mikrokosmen erinnern, oder symbolisch-dekorative Elemente sowie Artefakte, die sie aus der digitalen Sprache herausfiltert und entschlüsselt.

Der 1974 in Faenza geborene Künstler Devis Venturelli kommt ursprünglich von der Architektur. Er bedient sich gerne ironischer und surrealer Komponenten, wenn er etwa gewöhnlichen Abfallbehältern oder Holz- oder Metall-Pollern einen neuen Habitus verpasst, indem er ihnen reale weibliche Kleidungsstücke überzieht und die eigentlich für nüchterne Zwecke installierten, formal völlig einheitlich aussehenden normierten Objekte in quasi lebendige Wesen verwandelt. Auch sein Projekt „Sculpt the Motion“, von dem Beispiel in Bregenz zur Schau gestellt werden, hat einen ähnlichen Grundcharakter. Übergestülpte und durch Laufen und Gehen in Bewegung versetzte silbrige Schichten aus Isoliermaterial gerinnen zu mobilen Skulpturen, die an Boccionis Dinamismo Futurista erinnern. Der Kontrast zwischen starrer Architektur und fliessender Form lässt immer wieder reale Visionen entstehen, die sich auf das Konzept der „urbanen Ekstase“ beziehen, – die Grundlage von Venturellis Forschung.

Karlheinz Pichler – Kulturpublizist
in der Zeitschrift Kultur

Valentina D’Amaro, S.T. (Untitled) 2018, Viridis series, oil on canvas, 90x130cm

Debora Hirsch, Firmamento (riverrun), 2019. Acrylic, oil and ink on canvas, 111cm x 185cm

Devis Venturelli, Sculpt the Motion, 2017, 6’08“
Debora Hirsch

SCIVIAS

Valentina D’Amaro, Debora Hirsch, Devis Venturelli

Opening Friday March 15, 2019 at 7PM
March 15  – May 4, 2019

This show, a look inside the research of Valentina D’Amaro, Debora Hirsch and Devis Venturelli, stems from a project that reflects a convergence of interests and visions through a metaphysical conception of art as a tool for exploring reality that transcends reason and conceptual thinking. 

„Scivias“ is an experiment in which the unstable boundaries between intuition, an immediate knowledge, and science are exposed. The intuitive challenge that painting and moving images present is essentially elusive, demonstrating the dynamism of matter that becomes energy: the artists expose hollow-made matter which exists despite its appearance, thus revealing a world hidden beyond the senses in which everything is both vibrant and interconnected.

Valentina D’Amaro’s landscapes are the visual depiction of something beyond language, perceptible but untranslatable, as happens with music. Her research could be interpreted as non-conceptual and beyond logic and experience. D’Amaro looks behind narration and rationality, remaining open to intuition and giving the work the atmosphere of a widespread sense of suspension for the unexpected.

In Firmamento, Debora Hirsch aims to reach a balanced coexistence for seemingly disconnected worlds, in order to draw attention to hidden realities, to subtle interconnections and similarities. In trying to restore the complexity of the real, she draws on multiple references after a research on apparently unrelated worlds. This results in images that find their meaning at the end of an engineered construction, unfolding in a selection of evocative architectural details, decoded artifacts hidden inside the digital language, symbolic decorative elements, historic colonialist imagery of the Americas and contemporary digital colonialism motifs.

The „Sculpt the Motion“ project by Devis Venturelli carries out continuous transformations of metallic bodies related to architecture, through the language of video and sculpture. The silvery layers of insulating material, activated by movement, become mobile sculptures that evoke Boccioni’s dinamismo futurista. The contrast between rigid architecture and fluid form, gives rise to real visions that refer to the concept of „urban ecstasy“, the basis of Venturelli’s research.

The title of the exhibition from the Latin „Scivias“ (originally Sci Vias or know the ways) refers to the title of the eponymous medieval prophetic book by German mystic Hildegarde von Bingen (1098 – 1179).

The gallery installation consists of new paintings, videos and sculptures of recent production, most of which made specifically for the exhibition. 

Valentina D’Amaro, lives and works in Milan and has exhibited in art institutions and museums including: 54th Venice Biennale; PAC, Milan; Palazzo Reale, Milan; Triennale, Milan; Palazzo della Permanente, Milan; Museum of Contemporary Art in Lissone; Palazzo Parasi, Cannobio; Guang Dong Museum of Art, Canton, China; 2nd Prague Biennale, Prague; Hangart-7, Salzburg; Barbican Center, London; MARS, Milan. She is the winner of the 6th Cairo Communication Award (2005). In 2016 her work was included in „Vitamin P3: New Perspectives in Painting“ published by Phaidon

Debora Hirsch, Italo-Brazilian artist, has been artist-in-residence at the AnnexB, NY (2019) and at the RU Residency Unlimited, NY (2018). She was appointed for the Cisneros Fontanals Art Foundation’s (CIFO) Grants and Commissions Program 2019-2020. She has exhibited in museums and institutions including MOCAK, Museum of Contemporary Art in Krakow, Krakow; MARS, Milan; nGbK, Berlin; WhiteBox, New York; Anthology Film Archives, New York; MuBE, São Paulo; MACRO, Rome; Sandretto Re Rebaudengo Foundation, Turin; MAGA, Gallarate; Quadriennale, Rome; P. della Ragione, Verona; MAXXI, Rome.

Devis Venturelli, multi-disciplinary artist based in Milan, has exhibited in international art spaces and institutions including: 54th Venice Biennale; Lincoln Center, New York; Anthology Film Archives, New York; PAC, Milan; Xinjiang Biennial, China; MACRO, Rome; Kulturhuset Museum, Stockholm; Sandretto Re Rebaudengo Foundation, Turin; MMOMA, Moscow; Stadtgalerie, Kiel; Italian Institute of Culture, Amsterdam; Kunsthalle, Vienna; Center d’Art Santa Monica, Barcelona; Fondazione Merz, Turin; MARS, Milan. Winner of the Aletti Prize (2008) and of the Video.IT-Merz Foundation Award (2010).

 

Debora Hirsch – www.deborahirsch.org
Valentina D’Amaro – www.valentinadamaro.com
Devis Venturelli – www.devisventurelli.com